2. Veranstaltung am 1. April 2022

!BAUEN heißt HÖREN!

Prof. Rudolf Schricker

Moderation und Einführung „Bauen heißt Hören!“

In Fortsetzung der im Herbst 2021 initiierten Workshop- und Seminarreihe „Bauen heisst Hören!“ gilt es jetzt im April 2022 diese gepflegte Interdisziplinarität und Diversifizierung der Raumakustik mit weiteren Impulsbeiträgen anzureichern für Bewusstseinsbildung in Planung und Ausführung, um „gutes Hören“ in Räumen zu gewährleisten.

Standen bei der Auftaktveranstaltung noch Architekten, Akustiker, Musikwissenschaftler, Musiker und Mediziner im Hörfokus, sind es jetzt ein halbes Jahr später und in Erweiterung auch Klangforscher, Elektroakustiker, Audiologen und Materialakustikwissenschaftler.

Damit wird die vielschichtige und komplexe „Raumakustikgeschichte“ immer wieder neu und originell erzählt und neue Einblicke bzw. Hineinhorche für entwerfende und planende Menschen vermittelt, um „gesunde“ und gut hörbare Räume für Menschen zu gewährleisten.

Zum Alleinstellungsmerkmal und gleichzeitigem Auftakt einer jeden Veranstaltung ist mittlerweile die Direktschaltung ins Mainfrankentheater geworden, anlässlich derer Intendant Markus Trabusch Gelegenheit hat über akustische Eigenschaften und Erfahrungen im modernisierten Mainfrankentheater zu berichten und zu demonstrieren.

Alle Impulsbeiträge werden kommentiert und interpretiert.

Am Ende erfolgt noch der Hinweis, wonach die nächste Veranstaltung „Bauen heisst Hören!“ voraussichtlich am Freitag, 11. November 2022, stattfinden wird und jetzt schon jeder herzlich eingeladen ist, sich anzumelden und dann auch teilzunehmen.

Stuttgart Coburg
www.schricker.de

Markus Trabusch

Im Theater sind Nachhallzeiten nicht alles!
Live aus dem Mainfrankentheater in Würzburg: ein akustischer Situationsreport.

Im Theater geht es vornehmlich darum, bestimmte Frequenzen im Sprechbereich gut abzubilden. Im kleinen Haus kommt hinzu, dort auch zeitgenössisches Musiktheater zur Entfaltung zu bringen. Das Schauspielensemble verfügt nach den ersten Proben über sehr gute Erfahrungen hinhörlich Akustik im Saal.

Für Markus Trabusch ist es schon jetzt einer der besten akustischen Räume, in denen er gearbeitet hat. Der Raum erfüllt, was in der Planung in Hörweite gestellt worden war: beste Sprachverständlichkeit im gesamten Auditorium. Mit Unterstützung von Schauspieldirektorin Barbara Bily und Dramaturgieassistentin Philine Bamberger, beide in der drittletzten Zuschauerreihe positioniert, wird bei der Live-Demo eindrucksvoll Innovatives demonstriert: gleichwohl Intendant Trabusch auf der Bühne mit dem Rücken zum Auditorium spricht, ist es im gesamten Raum sehr gut zu verstehen, auch ohne Mikro. Die für Bühnenakteure so wesentliche Sprech- und Singrichtung wird von Raum akustisch allseits unterstützt und eröffnet neue Interpretations- und Bewegungsspielräume auf der Bühne, weil auch sprechende Menschen, die dem Auditorium den Rücken zuwenden, noch sehr gut zu verstehen sind.

Auch wenn die Raumakustik im Kleinen Saal des Mainfrankentheaters nicht flexibel ist, können Bühnenakteure äußerst flexibel mit den akustischen Möglichkeiten umgehen.

In nächster Zeit werden akustische Erfahrungen auch mit zeitgenössischem Musiktheater und mit verschiedenen Bühnenbildern vorliegen. Perspektivisch sind alle gespannt und fiebern dem Eröffnungstermin, voraussichtlich noch in diesem Jahr, entgegen. Markus Trabusch freut sich schon auf die nächste Live-Schaltung in seinem neuen Haus im Herbst.

Bis dahin wird sich das modernisierte Mainfrankentheater zu einem für Architekten/innen interessanten Anhörungsobjekt entwickeln.

Intendant Mainfrankentheater
Würzburg
www.mainfrankentheater.de

Prof. Dr.-Ing. Normen Langner

Raumakustik in der Lehre

FHWS
Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen

Raumakustik gewinnt notwendigerweise in der Lehre mehr Raum und Zeit. Gleichwohl gleicht es einer Herausforderung, die umfangreichen Inhalte in wenigen Minuten aussagekräftig darzustellen.

Vorneweg:

Bauakustik und Raumakustik sind eng miteinander verwoben und appellieren in interdisziplinärer Art an koordiniertes Planen in Architektur und Ingenieurswesen, wodurch nicht nur neues Planungsbewusstsein entstehen kann, vielmehr auch Fehler im Entwurf bis zur Ausführung vermieden werden können.

Die Lehre nimmt die neuen Differenzierungen und Qualitätskriterien der überarbeiteten DIN 18.041 – Hörsamkeit von Räumen - gerne auf und stellt T-Soll-Werte der Nachhallzeit und A-Soll-Werte Äquivalente Schallabsorptionsflächen in Korrelation. Daraus abgeleitet, können Schutzziele in der Raumakustik abgeleitet werden:

  • Sicherstellung von Verständlichkeit (reibungslose Kommunikation)
  • Sicherstellung angemessener Nachhallzeiten für spezielle Nutzungen
  • Raumbedämpfung und Reduzierung von Schalldruckpegeln

Geübt wird das Ganze mittels Handrechnungen und Messmethoden, tabellarischer Auswertungen und Online-Tools. Raumakustische Simulation wird digital und dreidimensional angewandt bei verschiedenen Raumbeispielen.

Fazit:

  • Raumakustik in der Lehre vermittelt Verständnis des Zweckes der Raumakustik
  • Kenntnis normativer Grundlagen und Berechnungsmethoden
  • Anwendung der Kenntnisse in Entwurf und Planung
  • Bewertung von Produkten und deren akustische Eigenschaften

Prof. Dr.-Ing. habil. Ercan Altinsoy

Einfluss von Akustik und Haptik auf die Architektur
Gestaltung von „Good Vibrations“

Entwicklung neuer Audiotechnologien und innovative Materialien als Schnittstelle und audiohaptische Interaktion zwischen Raum und Menschen. Räumliche Oberflächen definieren sich durch taktile Reize, haptische Eigenschaften und Farbe. Strukturen entstehen durch Unterscheidung unterschiedlicher taktiler, haptischer oder farbiger Merkmale.

Innenarchitektur kann sehr profitieren vom Verständnis für Schwingungs- und Wahrnehmungsphänomene: Bei der reinen Menge an Informationsaufnahme ragt das Auge mit einer Million bit/s natürlich hervor, gefolgt von Ohren mit hunderttausend und Fingern mit hundert Impulsen. Dagegen vermitteln Ohren bezüglich bewusster zeitlicher Wahrnehmungspräzision zweier verschiedener Impulse mit 2 ms den Spitzenplatz vor den Fingern mit 5 ms und den Augen mit 25 ms.

Besonderes Forschungsgebiet stellt die Entwicklung und gestalterische Integration in Raumgestaltung mittels Biegewellwandler und dielastischer elastomerer Lautsprecherfolien, die in der Lage sind, in kleinen Räumen große Raumvolumina zur Wirkung kommen zu lassen. Der „Konzertsaal zuhause“ ist keine Illusion mehr.

Akustikdesigner gestalten mittels haptischer Schwingungen und multimodaler Audiowiedergabesysteme spür- und hörbare Klangerlebnisse im kleinsten Raum.

Fazit:

Räume kommunizieren mit uns über alle Sinne. Mit „gestalteten“ Räumen und Geräuschen können wir das beeinflussen und „Illusionen“ erzeugen. Einige Themen und Emotionen sind sicher besser akustisch auszudrücken als visuell. Aufgaben und Produkte von Architekten/innen, aber auch Erwartungen werden immer anspruchsvoller. Kreative Lösungen erfordern multidisziplinäre Denk- und Entwurfsweise. Akustik und Haptik eröffnen neue Perspektiven auch für Sehbehinderte. Visuelle Information lässt sich in akustische und haptische Signale übersetzen.

Lehrstuhl für Akustik und Haptik
TU Dresden

Thomas Kusitzky

Stadt Klang Gestaltung

Städte klingen typisch; jede Stadt hat ihr eigenes Klang-Image. Bei den Geräuschen der Stadt steht Lärm als Beeinträchtigung von Lebensqualität seit geraumer Zeit im Vordergrund. Mittelalterliche Städte mit ihrer engen Bebauung klingen anders als moderne Städte, die oft für Verkehr und Mobilität gebaut worden sind.

Geräusche der Stadt dienen der Orientierung; sie geben Aufschluss über soziokulturelle und gesellschaftliche Zugehörigkeit oder eben Ausschluss. Klänge einer Stadt können Identitätsstiftend oder auch exklusiv sein. Umgebungslärm ist laut WHO nach Luftverschmutz das zweitdrängendste Problem der Städte bezüglich Wohlbefinden.

Klangerlebnisse sind in Städten meist genauso eintönig wie die Gestaltung der Architektur. Vermisst wird klangliche Umweltgerechtigkeit und Diversität:

Eine akustische Benachteiligung ganzer Gruppen in der Stadtgesellschaft ist festzustellen. Akustische Ereignisse durch Kinder oder Jugendliche werden altersspezifisch differenziert wahrgenommen.

Menschen in der Stadt nehmen mit dem Hören am soziokulturellem Leben teil. „Gehört werden“ gehört zum Miteinanderleben dazu. Hörtoleranzen regeln Verhalten.

Festzustellen bleibt: Der Klang der Städte ist bislang so gut wie nicht bewusst gestaltet; unsere Städte klingen so, wie wir sie errichten und organisieren. Städtebauliche Klanggestaltung ist ein verantwortungsbewusstes Planungsgebiet der Zukunft.

Klangforscher und Klangkünstler
Berlin

Ralf Schulte-Ladbeck

Konzerthaus Dortmund
Gestaltete Reflexion

Städtebaulich ist das Konzerthaus Dortmund einer der wenigen Konzerthäuser mitten in der Stadt. Der sonst übliche große Vorplatz fehlt und rutscht in und unter das neue Gebäude, unterstützt durch Transparenz und Orientierung.

Das Konzerthaus wird im Entwurf zuerst gedacht, dann berechnet, modelliert, simuliert und dann endlich gebaut. Der entwickelte Klangkörper orientiert sich am tradierten „Schuhschachtel-Prinzip“ klassischer Konzerthäuser mit den entsprechenden verlässlichen Nachhallzeiten.

Der Saal ist flexibel und größenveränderbar.
Prämisse: Musiker sollten sich selbst gut hören und das Auditorium soll die Musiker gut hören. Erreicht wird dies durch die differenzierte Seitenreflexion der Wände, durch die Unterseiten der Ränge und durch flexible Deckensegel.

Die Entwurfsidee ist geleitet vom Motiv einer „Muschel“: außen rau – innen Perlmutt – Musik als Perle.

A-SL-Baumanagement GmbH & Co. KG
Architekt, Dortmund

Norbert Hönig

Zusammenwirken Raum-Elektro-Akustik

Grundsätzlich steht im Verhältnis Raum – Elektroakustik die provokante Frage: „kann Elektroakustik eine schlechte Raumakustik verbessern?“ und nicht minder provozierend wirkt die klare Antwort: „Nein!“

Mit digitaler moderner Technik lässt sich eine gewisse Beeinflussung gewisser Nutzungserfahrungen erreichen, jedoch ist bei schlechten raumakustischen Bedingungen keine nachträgliche Verbesserung durch Elektroakustik mehr möglich.

Die Differenzierung zwischen Bau- und Raumakustik verlangt ein ebenso differenziertes Zusammenwirken von Planern, Akustikern und Medientechnikern in verschiedenen Entwurfsstadien, damit bauliche Veränderungen zur akustischen Verbesserung durch Form, Größe und Materialität des Raumes noch möglich sind.

Hauptthema ist die „Sprachverständlichkeit“, die kein Luxus ist, vielmehr Resultat verantwortungsbewusster und abgestimmter Architekturplanung.

Ohne gute Raumakustik ist „Verstehen“ nicht möglich.

Typisches Beispiel für einen akustisch sehr kritischen Raum: Ein Vortragsraum in moderner Architektur mit gerundeten Wänden aus Glas, einem harten Steinbodenbelag und der Hoffnung, visuelle Ästhetik möge mit akustischer Ästhetik korrelieren. Durch harte Materialien der Umfassungsflächen und vor allem durch die gerundete Form des Raumes und die hundertfache Reflexion ist eine äußerst schlechte Raumakustik bezüglich Sprachverständlichkeit zu erwarten.

Ohne elektroakustische Simulation (Auralisation) wäre eine gesicherte Planung einer Beschallungsanlage für diesen Raum zu riskant. Mittels Programme, wie EASE oder ULYSSIS, ist eine exakte Berechnung aller relevanten Parameter, wie Nachhallzeit, Direktschallpegel, Indirektschallpegel, STI – Speech Transmission Index, möglich und lassen sich Raummaterialien, Flächenlisten und Lautsprecherpositionen festlegen.

In Folge ist durch Zusammenwirken zahlreicher Parameter, wie Akustikdecke, mobiler Absorberelemente, absorbierende Jalousien usw.), eine für Vortragsräume gute Nachhallzeit unter einer Sekunde und eine homogene Schallversorgung erreicht worden.

NH-Consult Audiovisuelle Technik
Sinsheim

Prof. Dr. Steffen Kreikemeier

Menschen hören Räume

Audiologie beschäftigt sich mit Hörakustik und mit Aspekten der Kommunikation – Sprache verstehen.

Kant wird die Redewendung in den Mund gelegt:

„Das Sehen trennt von Dingen – das Hören von den Menschen!“

Die Diskussion um „gesunde“ Räume sensibilisiert auf gute Raumbedingungen für das Hören allgemein, und Audiologie fokussiert auf individuelle Hörbeeinträchtigungen und Störungen im auditiven Bereich und deren Ausgleich. Die Hörgeräteversorgung mittels moderner Hörsysteme steht dabei im Vordergrund. Daneben spielen raumakustische Kriterien eine wesentliche Rolle, ebenso Sprachverständlichkeit im Störgeräusch und in halligen Räumen, sowie Psychoakustik.

Heutige Hörgerätesysteme sind Hochleistungscomputer hinter oder im Ohr, quasi Schnittstelle zwischen Menschen und Raum, und berücksichtigt „Höranstrengungen“ in der Kommunikation vor dem Hintergrund von Sprachverständnis, und Kontext und versucht, Sprachverständnis im Störgeräusch zu bewältigen.

Zu konstatieren ist:

Raumakustik hat wesentlichen Einfluss auf individuellen Höreindruck. Für Audiologie hat neben Klang das Sprache Verstehen große Bedeutung. Differenzierung zwischen Normalhörenden und Hörgerätetragenden. Leider ist bei der Versorgung mit Hörgerät hinter oder implantierten Hörsystemen nicht immer das Sprachverständlichkeitsniveau von Normalhörenden zu erreichen.

Fazit: Raumakustik sorgt dafür, dass Menschen nicht nur Räume, sondern auch Menschen in Räumen hören.

Hochschule Aalen
Studiengangsleiter B. Sc. Hörakustik/Audiologie

Komplette Veranstaltung

Veranstaltung vom 01.04.2022

Laufzeit 4h 02min